EuGH erweitert seine Rechtsprechung zum Betriebsübergang

01.10.2009 | Marcus Kreutz, LL.M.

Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil vom 20.11.2003 (Az.: C-340/01) seine Rechtsprechung zum Betriebsübergang im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 77/187/EWG erweitert.

Sachverhalt

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde (ausführliche Sachverhaltsdarstellung in NJW 2004, 45 ff.):

Ein Caterer – ein unternehmensexterner Lieferant von Speisen und Getränken – namens Sanrest betrieb in einem österreichischen Krankenhaus eine Kantine. Das Krankenhaus stellte neben den Räumlichkeiten auch das notwendige Inventar wie Küche und Speisesäle für die Zubereitung der Mahlzeiten zur Verfügung. Auch weiter erforderliche Mittel wie Wasser und Energie wurden vom Krankenhaus gestellt. Sanrest war vertraglich verpflichtet, die Lieferung und Versorgung mit Speisen und Getränken sowie die Wirtschaftsdienste innerhalb des Krankenhauses, bestehend aus einer kompletten Versorgung der Patienten und des krankehauseigenen Personals zu übernehmen. Die Speiseproduktion hatte in den Betriebsräumen des Krankenhauses zu erfolgen. Die Aufgaben von Sanrest umfassten die Erstellung der Speisepläne, der Einkauf, die Lagerhaltung, die Produktion, die Portionierung und der Transport der portionierten Mahlzeiten auf die verschiedenen Krankenstationen, die Ausgabe im Personalspeisesaal sowie die Reinigung des Schmutzgeschirrs und der benutzten Räume. Die unmittelbare Aushändigung der Mahlzeiten an die Patienten gehörte nicht zu den Aufgaben von Sanrest. Arbeitnehmer des Krankenhauses setzte Sanrest jedoch bei der Produktion und krankenhausinternen Distribution der Mahlzeiten nicht ein. Dafür wurden ausschließlich Mitarbeiter von Sanrest eingesetzt.

Im Zuge von Meinungsverschiedenheiten zwischen Sanrest und dem Krankenhausbetreiber kündigte dieses am 26.4.1999 den Vertrag und erteilte einem anderen Unternehmen, der Sodexho, den Auftrag.

Weil die bislang 21 eingesetzten Beschäftigten von Sanrest durch Sodexho nicht übernommen wurden, klagten diese gegen Sodexho mit dem Ziel, von diesem Unternehmen weiter mit den gleichen Arbeiten im Krankenhaus durch Sodexho beschäftigt zu werden. Der im weiteren Instanzenzug mit diesem Fall betraute österreichische oberste Gerichtshof legte mit Beschluss vom 25.6.2001 dem EuGH gemäß Art. 234 EG-Vertrag die Frage vor, ob es sich um den Übergang eines Betriebsteils im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 77/187 EWG handelt, „wenn ein Krankenhausträger, der bisher ein Großküchenunternehmen mit der Versorgung der Patienten und des Krankenhauspersonals mit Speisen und Getränken zu einem auf den Verköstigungstag pro Person bezogenen Preis beauftragt und ihm dazu Wasser und Energie sowie seine Wirtschaftsräume (Betriebsküche) samt dem erforderlichen Inventar zur Verfügung gestellt hat, nach Aufkündigung des Vertrages die Aufgaben auf die bisher diesem ersten Großküchenunternehmen zur Verfügung gestellten Betriebsmittel einem anderen Großküchenunternehmen überträgt, ohne dass dieses zweite Großküchenunternehmen die vom ersten Großküchenunternehmen selbst eingebrachten Betriebsmittel – Personal, Warenlager, Kalkulations-, Menü-, Diät-, Rezept- oder Erfahrungsunterlagen übernimmt“?

Entscheidungsgründe

Der EuGH hat – obgleich selbst der mit diesem Fall betraute Generalanwalt in seiner Stellungnahme vom 19.6.2003 die dem EuGH gestellt Frage verneint hat und der EuGH zumeist der Ansicht der Generalanwälte folgt – zur Überraschung aller Prozessbeobachter die vorgelegte Frage bejaht.

Der EuGH hat also auf einen Betriebsübergang im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Betriebsübergangsrichtlinie erkannt.

Zentrales Argument für dieses Ergebnis ist die Wertung des EuGH, dass die Verpflegung „nicht als eine Tätigkeit angesehen werden (kann), bei der es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, da dafür Inventar in beträchtlichem Umfang erforderlich ist“ (EuGH, C-340/01, Rn. 36). Dies habe nach Ansicht des erkennenden Gerichts im vorliegenden Fall umso mehr gegolten, da er „durch die ausdrückliche und unabdingbare Verpflichtung zur Zubereitung der Speisen in der Küche des Krankenhauses und folglich zur Übernahme dieser Betriebsmittel geprägt (war)“.

Durch die derart vorgenommene Qualifizierung der Tätigkeit des Caterers wird deutlich, dass der EuGH die vertraglich geschuldete Bewirtschaftungsaufgabe als betriebsmittelgeprägte Tätigkeit ansieht, die dazu führt, dass allein schon die Übernahme der Betriebsmittelgesamtheit für die Verwirklichung des Tatbestandes eines Betriebsübergangs ausreicht.

Kritische Würdigung der Entscheidung

Das Urteil des EuGH hat für Unternehmen in Mitgliedstaaten, in denen es einen weit reichenden Kündigungsschutz gibt (so wie z.B. in Deutschland), gravierende Folgen.

Zunächst hat es der EuGH versäumt, sich eingehend mit den Argumenten des in diesem Fall vortragenden Generalanwalts L.A. Geelhoed auseinanderzusetzen. Dieser hatte in seinem Schlussantrag vorgebracht, dass unmittelbare vertragliche Beziehungen zwischen dem Übertragenden (Sanrest) und dem Übertragungsempfänger (Sodexho) zu keiner Zeit bestanden und bei der bloßen Auftragsverlagerung zwischen zwei konkurrierenden Dienstleistungserbringern kein Betriebsübergang gesehen werden könne (Schlussantrag des Generalanwalts vom 19.6.2003, Rn. 62). Zwar könne die Betriebsübergangsrichtlinie auch in einem solchen Fall anwendbar sein, wenn der Übergang in zwei Phasen über einen Dritten erfolge (Schlussantrag des Generalanwalts vom 19.6.2003, Rn. 60). Da dies jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben sei, liege aber kein Betriebsübergang vor. Lediglich den Verlust eines Auftrags konstatierte der Generalanwalt (Schlussantrag vom 19.6.2003, Rn. 63).

Der EuGH geht hingegen bei seiner Entscheidung von den Grundsätzen seiner sog. Ayse Süzen-Entscheidung (Urteil des EuGH vom 11.3.1997, NZA 1997, 433) aus und prüft, ob das übergegangene Cateringunternehmen seine Identität bewahrt hat. Einen solchen identitätswahrenden Vorgang erkennt das Gericht in der Übernahme des Inventars des Produktionsbetriebs „in beträchtlichem Umfang“. Die Übernahme des Produktionsbetriebs selbst bzw. bestimmter Betriebsmethoden, wie dies vom deutschen Bundesarbeitsgericht für einen Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB verlangt wird (BAG, Urteil vom 26.6.1997, NZA 1997, 1228), ist für den EuGH nicht entscheidend. Ihm genügt es nach dieser Entscheidung schon, wenn materielle Betriebsmittel übergehen, die geeignet und erforderlich sind, die mit der Tätigkeit verbundene Wertschöpfung zu erzielen. Ist die Wertschöpfung demnach nur unter Zuhilfenahme bestimmter Betriebsmittel des Auftraggebers möglich, so wird mit ihnen und nicht lediglich an ihnen gearbeitet.

Bei dieser Betrachtung durch den EuGH erlangen sächliche Betriebsmittel im Rahmen von Dienstleistungsbetrieben jedoch eine unangemessen große Bedeutung. Offenkundig handelt es sich bei der Zubereitung von Mahlzeiten um eine Dienstleistung, zu der zwangsläufig sächliche Betriebsmittel wie Pfannen, Herde, Geschirr, Spülmaschinen etc. benötigt werden. Im Vordergrund steht jedoch eindeutig die menschliche Arbeitskraft und das in den beschäftigten Personen „gespeicherte“ know-how bzw. die für die Zubereitung schmackhafter Nahrung erforderliche Erfahrung. Daher hat der EuGH fälschlicherweise den Akzent zu stark auf die Produktionsmittel gelegt und die Dienstleistung zu Unrecht in den Hintergrund treten lassen.

Überspannte Anforderungen legt der EuGH auch an das durchaus geläufige Kriterium der Übernahme des Kunden für einen Betriebsübergang an. In dem vorliegenden Urteil geht er nämlich davon aus, dass die Patienten und Mitarbeiter des Krankenhauses die Kunden des Caterers sind. Diese Sicht negiert jedoch die Tatsache, dass der Caterer in erster Linie gegenüber dem Krankenhaus zum Betrieb der Kantine und zur Zubereitung der Mahlzeiten verpflichtet war. Einziger Kunde des Caterers ist das Krankenhaus!

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine bloße Funktionsnachfolge (oder auch Auftragsnachfolge) – entgegen der Ansicht des EuGH – kein Betriebsübergang darstellt.

Es ist kein überzeugendes Argument ersichtlich, welches den Auftraggeber (hier: das Krankenhaus) zwingen können soll, bei einer Auftragskündigung und anschließender neuer Auftragsvergabe an einen neuen Dienstleister, das möglicherweise unqualifizierte, unfreundliche und schlecht arbeitende Personal des ersten Dienstleisters automatisch mit übernehmen zu müssen.

Da das Urteil des EuGH jedoch in der Welt ist, müssen Unternehmen, die sich eines Caterers bedienen (zu denken ist insoweit an Betriebskantinen, Alten- und Pflegeheime, Kindergärten, Ganztagsschulen, Mensen etc.) und sicher gehen wollen, bei einer Auftragskündigung nicht das alte Personal des ursprünglichen Dienstleisters übernehmen zu müssen, den streitgegenständlichen „Teilbetrieb“ für eine ausreichende Zeit stillzulegen. Als ausreichender Zeitraum wird insofern in der Literatur bereits von ca. sechs Monaten gesprochen (Bauer, NZA 2004, 14 [17]). Innerhalb dieser Zeitspanne müsste die Küche eben kalt bleiben. Nur so könnte – bei Anlegung der Maßstäbe des EuGH – ein Betriebsübergang verhindert werden. Ernsthaft intendiert kann diese äußerst kundenunfreundliche und sich betriebswirtschaftlich sicherlich zumeist negativ auswirkende Lösung nicht gewesen sein. Daher kann nur gehofft werden, dass der EuGH dieses Judikat bei nächster Gelegenheit revidiert und den tatsächlichen Gegebenheiten anpasst.

Autor
Rechtsanwalt Marcus Kreutz, LL.M.
Justiziar des Bundesverbandes Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V. in Köln
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